LGBTQ-feindliche Stiftung will in der Schweiz Fuss fassen
Nemos Sieg am Eurovision Song Contest (ESC) gibt queeren Menschen viel Auftrieb. Nonbinäre sowie Politikerinnen und Politiker fordern, dass die Schweiz offiziell ein drittes Geschlecht einführt. Und manche Männer und Frauen, die beim Wort «nonbinär» lange nur den Kopf schüttelten, geben sich mittlerweile sogar Mühe, bei Nemo nicht in die Pronomen-Falle zu tappen.
Nemos Traum nach einer Welt, «in der alle Menschen so sein dürfen, wie sie sind», scheint trotzdem noch lange nicht Realität zu werden. Mitten in der neuen Strömung will in der Schweiz eine Stiftung Fuss fassen, die queere Menschen verteufelt.
Dabei handelt es sich um die rechtskonservative Stiftung Citizen Go mit Hauptsitz in Madrid. Im April suchte sie einen Campaigner für die Schweiz. «Das spiegelt unser Bestreben wider, unsere Aktivitäten und Präsenz vor Ort zu verstärken», bestätigt die Stiftung.
Petitionen gegen Siegerin von Zuricrit und Dragqueen-Vorlesungen
Laut eigenen Angaben ist die Stiftung vollständig durch Spenden finanziert, auf der ganzen Welt beheimatet und zählt über 17 Millionen aktive Bürger. Ihr Ziel ist, «radikale Lobbys daran zu hindern, der Gesellschaft ihre Agenda aufzuzwingen». Mit Online-Petitionen und Aktionen will sie «das Leben, die Familie und die Freiheit verteidigen und fördern». In ihren Petitionen kämpft sie deshalb gegen Abtreibung, sexuelle Aufklärung, Feminismus und LGBTQ.
Dafür pickt die Stiftung Ereignisse von Melbourne bis Zürich heraus. 2023 gewann trans Frau Kiana Gysin das Zürcher Kriterium-Radrennen Zuricrit. Citizen Go startete darauf eine Petition, die fordert, dass der Organisator des Zuricrit die Auszeichnung der «schnellsten Frau» verleiht. Gysin als biologischer Mann habe «der wahren weiblichen Siegerin die Anerkennung und den Preis gestohlen», behauptet die Stiftung.
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Als der Stadtrat dem Gemeinderat 2022 beantragte, den Verein Sexuelle Gesundheit Zürich für weitere vier Jahre finanziell zu unterstützen, warnte Citizen Go in einer Petition vor einer «unheimlichen Agenda» und einer Organisation, die nicht nur «geschlechtsverwirrende Flyer» verteilte, sondern Kindern auch mit LGBTQ-Theorien indoktriniere. Eine weitere Petition startete die Stiftung gegen die Finanzierung von Dragqueen-Vorlesestunden. Bis jetzt ist bei den Zürcher Petitionen jeweils mindestens die Hälfte der angestrebten Unterschriftenanzahl zusammengekommen.
Stiftung wirbt mit attraktiven Arbeitsbedingungen
Die Arbeitsbedingungen bei Citizen Go treffen den Nerv der Zeit. In einem Youtube-Video schwärmen Mitarbeitende vom Remote Work und der guten Work-Life-Balance. «Solange die Arbeit gemacht wird, spielt es keine Rolle, wann du sie erledigst», erzählt eine Angestellte begeistert.
Der Campaigner-Job in der Schweiz ist inzwischen nicht mehr offen. «Im deutschsprachigen Raum sind derzeit vier Mitarbeiter tätig, und mit der Besetzung der Stelle des Campaigners werden es fünf sein», heisst es bei der Stiftung. Wie viele Mitarbeitende für die Schweiz zuständig sind, gibt er nicht an. «Täglich arbeitet jede Abteilung in Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen.»
Fest steht, dass die Stiftung in der Schweiz Grosses vorhat. Wikileaks-Dokumente zeigten 2021, wie sich Citizen Go in Europa organisiert und professionalisiert hatte. «Politischer Druck durch möglichst viele Unterschriften», bezeichnete die TAZ, die Einsicht in die Dokumente hatte, als deren Hauptziel. So fluteten sie die Posteingänge der EU-Abgeordneten mit E-Mails und starteten Onlinepetitionen. In Österreich soll die ÖVP-Nationalratsabgeordnete Gudrun Kugler für Citizen Go im Einsatz gewesen sein, wie «Der Standard» damals berichtete. Ein Abgeordneter der NEOS-Partei sah in ihr sogar eine «Drehscheibe der erzkonservativen Plattform im deutschsprachigen Raum».
«Hoffe, dass Wandel nicht abgewürgt wird»
Linken Politikerinnen und Politikern bereitet die Stiftung Sorgen. Die Gesellschaft habe in letzter Zeit einen Sprung in Richtung Respekt und Toleranz gegenüber Menschen mit anderer sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität gemacht, sagt SP-Nationalrätin Martina Munz. «Ich hoffe nicht, dass rechtskonservative Kräfte diesen Wandel abwürgen.»
Munz hält für bedenklich und gefährlich, dass eine ausländische Organisation die Schweizer Bevölkerung aufwiegeln und die öffentliche Diskussion beeinflussen wird. «Wichtig ist, zu erfahren, aus welchen Kreisen die Spenden der ausländischen Organisation kommen.»
Manche könnten Gegenbewegung begrüssen
Keine Gefahr sieht SVP-Nationalrat Mauro Tuena. «Solange sich die Stiftung im gesetzlichen Rahmen bewegt, darf sie hier so viele Petitionen starten, wie sie will», sagt er. Niemand sei gezwungen, sich deren Meinung anzuschliessen.
Er hält für möglich, dass manche Menschen in der Schweiz eine solche Gegenbewegung begrüssen. «Dass jetzt seit Nemos Sieg am ESC fast nur noch über Menschen mit verschiedenen Geschlechtern diskutiert wird, ist wirklich übertrieben». Über den rechtlichen Rahmen eines dritten Geschlechts hätten sie erst vor Kurzem in der Rechtskommission umfangreich diskutiert. «Hierfür gibt es keine Mehrheiten.»