Pikant oder süss: Die Quitte ist die Schweizer Obstsorte des Jahres
Das Wort «Quitte» – auf Mundart «Chüttene» – weckt bei vielen Leuten Erinnerungen an die eigene Kindheit. Als die Mutter Quittensaft mit einer Gaze, die sie am umgekehrten Taburett festgeknotet hat, gewinnt und beim Einkochen des Gelees der herb-süssliche Duft der goldgelben Frucht das Haus erfüllt.
Ich sass am Küchentisch. Vor mir liegt ein Berg Quitten, zum Teil waren die Früchte so schwer, dass meine Kinderhände sie nicht halten konnten. Das Tuch, mit dem ich die flaumige, weisse Schicht abreibe, hat sich rötlich-braun verfärbt. Die ätherischen Öle, die in den Härchen sind und durch das Reiben freigesetzt werden, bereiten mir Kopfweh. Im Blickfeld der knorrige, alte Quittenstrauch. Erstaunlich, dass dieses Gewächs mit den harten Früchten im Mai so schön blüht: Der Strauch oder Baum trägt vier- bis fünf Zentimeter grosse, weiss-rosa Blüten.
Unser Strauch steht heute nicht mehr, wie so viele Hoch- oder Halbstammquittenbäume in der Schweiz. Ihm machte die Bakterienkrankheit Feuerbrand den Garaus, anderen die fehlende Nachfrage. Zu aufwendig empfindet man die Verarbeitung. Heute kann man sie vor allem noch auf Bauernmärkten kaufen. Nur noch auf ungefähr acht Hektaren werden Quitten angebaut; vor allem im Wallis, im Waadtland, in Basel und Bern.
Roh schmeckt nur eine Sorte
Die Vereinigung der Förderung alter Obstsorten Fructus hat deshalb die Quitte zur Schweizer Obstsorte des Jahres 2017 gekürt. Der Baum selbst ist anspruchslos. Er mag geschützte, sonnige Lagen und gedeiht bis auf eine Höhe von rund 1000 Metern. Weltweit zählt man rund 200 Quittensorten; im Iran gibt es die grösste Vielfalt. Die einzige Quitte, die auch roh schmeckt, die Shirin-Quitte, wächst in der Türkei.
Das wild wachsende Rosengewächs zählt zu den ältesten Früchten überhaupt. Ihr Name geht auf die Stadt «Kydonia» zurück, das heutige Chania im Nordwesten Kretas. Allerdings hat das nichts mit der Herkunft zu tun – Quitten findet man wie gesagt überall auf der Welt.
Bezeichnender sind zwei andere Namen für diese Frucht: Auf Italienisch heisst sie «Cotogna», was den feinen, weissen Flaum betont; auch Baumwollapfel genannt. Das portugiesische Wort «marmelo» war wohl auch die Namensgeberin für den Hauptverwendungszweck, die Marmelade. Die Lebensmittelindustrie schätzt das starke Fruchtaroma. Doch die aufwendige Verarbeitung setzt Grenzen; insbesondere das Entfernen des Flaums. So wird die Frucht neben der Herstellung von Konfitüre und Gelee in der Schweiz vor allem als Duft- und Aromaspender eingesetzt.
Symbol für langes Leben
Bei den Griechen war sie die heilige Frucht der Aphrodite und galt als Symbol von Glück, Liebe, Fruchtbarkeit und langem Leben. Karl der Grosse befahl den Anbau von Quitten. Geschätzt war sie auch in der Heilkunde. Hippokrates (4. Jahrhundert vor Christus) nutzte schleimhaltige Quittensamen als kühlendes Heilmittel auf spröde Lippen, gegen rissige Haut, bei Verbrennungen, bei Durchfall, Fieber.
Die Universalgelehrte Hildegard von Bingen empfahl im 12. Jahrhundert Quitte gegen Gicht, Hautausschläge, Geschwüre, Arteriosklerose. In den heutigen Apotheken und Drogerien kennt man die Heilkraft der Quitte offiziell nicht. Sie ist nicht nachgewiesen. Und doch: Auch eine Fachfrau erzählt vom Hausmittel ihres Vaters, der Quittenkerne in wenig Wasser einlegte und mit der schleimigen Flüssigkeit die geschlossenen Augen einrieb.
Es lohnt sich, die Quitte neu zu entdecken. Inzwischen findet man neben dem altbekannten Gelee und heiss eingefüllten Quitten neue, kreative Rezepte: vom Quittensüppchen mit Ingwer, Kalbsleberli mit Quitten, Quitten im Schlafrock bis zu Quittenessig. Zudem erleichtern im heutigen Haushalt Hilfsmittel die Rüstarbeit. Ein grosser Teil des Pelzes ist bei den Quitten, die man kauft, bereits entfernt, sodass ein gründliches Abwaschen genügt. Das vollständige Entfernen des Flaumes bleibt wichtig, damit keine Bitterstoffe die Speise beeinträchtigen. Weil das Kerngehäuse sehr hart ist, schneidet man das Fruchtfleisch nicht mittig, sondern neben dem Kern weg.
Werden Stücke gekocht weiterverwendet, entfernt man das harte Gehäuse besser erst nach dem Kochen. Beim Rezept «Quittengipfel» ist es ideal, wenn die harten Fruchtstücke mit einer Trommelraffel oder mit einer elektrischen Raffel anstelle der Röstiraffel zerkleinert werden.
Wird der Saft für Gelee, Sirup oder gar für ein Sorbet (auf 4,5 dl Fruchtsaft ca. 125 g Zucker) gebraucht, eignet sich der Steamer hervorragend. Die Quittenstücke können bei 100 °C zwei Minuten vorgegart und 35 Minuten bei 120° gekocht werden. Der Quittensaft erhält eine wunderbar rötliche Farbe. So ist er auch als Basis vieler Cocktail-Rezepte und Kreationen mit Sekt oder mit Mineralwasser ein sicherer Wert.
von Monika Neidhart