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Otto wird der neue Kevin – wie Namen in und aus der Mode kommen

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Foto: Pixabay
Schweiz am Wochenende

Otto wird der neue Kevin – wie Namen in und aus der Mode kommen

Wie Eltern ihre Babys taufen, gibt immer zu reden. Doch wie kommt ein bestimmter Name eigentlich in Mode?

Sie legt die Hände auf ihren Bauch, lächelt verschmitzt und sagt bestimmt: «Nein.» War eh klar. Werdende Eltern hüten ihren ausgedachten Babynamen wie einen Schatz und verraten ihn selten. Am Tag der Geburt dann verkünden sie ihn, wie man früher einen König vor dem Volk ausrief. Aus Angst, ausgelacht zu werden, Nachahmer zu haben oder ganz für die Überraschung, man weiss es nicht genau.

Kommen Sie dann, die SMS aus dem Spital oder die Baby-Kärtchen, müssen alle vortäuschen, den Namen zu mögen – sodass die frischgebackenen Eltern im Glauben gelassen werden, der Name sei toll. In Wahrheit fragt man sich aber nicht selten: «Um Himmels willen, was ist denn das für ein Name? Otto? Wirklich?» Doch an diese Namen sollten sie sich gewöhnen. Denn junge Eltern geben ihrem Nachwuchs in letzter Zeit vermehrt altbackene Namen. Neben Otto werden die kleinen Racker heute Ferdinand, Emma oder Theo genannt.

Hipster-Papas stehen auf Retro-Namen und die heutige Mama findet es lässig, den Namen ihres Grossvaters weiterzuvererben. An dieser Stelle relativiert Namensforscherin Simone Berchtold. Gemäss der Expertin vom Deutschen Seminar der Uni Zürich sind Ferdinand und Paul eher ein deutsches Phänomen. Stimmt, in der Schweizer Statistik tauchen sie noch selten auf. Doch die Auferstehung kommt bald. Dafür werde Emil – ein Name aus den 1930er-Jahren – immer häufiger vergeben, sagt Berchtold. Ein Blick in das neue Vornamen-Tool der Firma Snowflake, das Mitte dieser Woche erst aufgeschaltet wurde, zeigt: 1942 gab es einige Emils. Dann kam der Name aus der Mode, um heute ein Comeback zu feiern. Auch Zweitnamen sind heute beliebter denn je. Dass ein Baby nur auf einen Namen getauft wird, kommt immer seltener vor. Im Gegenteil auch drei Namen, Paul Emil Theodor, sind populär.

Warum sind die Namen der Grosseltern-Generation wieder en vogue? Wahrscheinlich weil wir langsam genug haben von Noah und Mia. 1977 gab es in der Schweiz vier Buben mit dem Namen Noah, 1992 dann der Anstieg, und 2012 wurden 461 Jungs Noah getauft. «Bei einem Namenstrend gibt es immer einen langsamen Anstieg, bis die Spitze erreicht ist, dann nimmt die Namensvergabe wieder ab», erklärt Simone Berchtold. Viele Namen halten sich zehn Jahre als Trend. Daher der Begriff «Jahrzehntenamen». Noah erfährt nun einen Rückgang. Auch Emma ist seit zwei Jahren leicht rückläufig.

Kurz und klangvoll

Auffallend ist, dass alle Namen in der aktuellen Vornamens-Hitparade kurz sind, viele Vokale haben und häufig mit «L» beginnen. «Eltern mögen leicht- und wohlklingende Namen», erklärt die Namensexpertin. Es gehe ihnen um den Klang. Bei Mia und Noah sei dies wegen des «a» am Ende der Fall. «L»-Namen – Leo, Lara, Luis, Lena – klingen nicht hart, sondern sanft. Bei der Aussprache ströme die Luft seitlich von der Zunge weg. Namen die mit «T» oder «P» anfangen klingen bei der Aussprache härter.

Kurz ist beliebt, weil Eltern keine Namensverschandelung und keinen Spitznamen wollen. Zudem signalisieren Kurzformen wie Mia (von Maria), Lili oder Lilly (von Elisabeth) Nähe und Intimität. Diese gesellschaftliche Informalisierung passe zur aktuellen westlichen Bevölkerung. Berchtold bemerkt aber, dass auch Lili eines Tages 40 wird und ihren kindlichen Namen dann vielleicht nicht mehr so süss findet. Fraglich ist auch, wie süss all die in den 1990er-Jahren geborenen Kevin ihren als Unterschichten-Phänomen abgestempelten Namen finden. (1991: 1047 Kevin in der Schweiz, 2015: waren es noch 97). «Nur Drogenkinder und Ossis heissen Kevin», ätzte einst der bayrische Kabarettist Michael Mittermeier. Doch wer weiss? Vielleicht wird Otto der neue Kevin.

Namensvielfalt wie nie

Neben dem Wohlklang geht es Eltern auch um die Bedeutung des Namens und ob er gut zum Nachnamen passt. Ist der bereits lange und umständlich, sollte es vorne wenigstens kurz sein. Hinzu kommt, dass immer mehr Paare zweisprachig sind. Da sagte die Kollegin, die mit einem Franzosen verheiratet ist, zu Recht: «Wir haben nach einem Namen gesucht, der in beiden Sprachen gut auszusprechen ist.» Eltern durchforsten Namenslisten oder sogar den Namensduden. Heutzutage wird viel Aufwand und Herzblut in die Findung eines passenden Namens gesteckt.

Und weshalb landen dann doch so viele bei den Trendnamen? «Tun sie gar nicht wirklich. Denn die Vielfalt bei Vornamen ist so hoch wie nie», bemerkt Berchtold. Die Namen verteilen sich auf die Geburtenrate, viele werden nur einmal vergeben. 1950 suchten sich nur fünf Prozent einen Namen ausserhalb der Liste der 1000 beliebtesten Namen aus, heute entscheiden sich 27 Prozent für etwas Aussergewöhnliches.

Es geht um die exotische Variante, bei der Eltern ihre Kleinen um alles in der Welt nicht «normal» benennen wollen. Die Babys – meistens aus ländlichen Gebieten, weil man sich da versucht abzuheben – heissen dann Anoubia und Lenox. Bloss kein anderer Balg soll auf diese Namen hören. Und Promis, so hat man das Gefühl, kennen überhaupt keine Grenzen in ihrer Kreativität. Einige Beispiele? Apple (Kind von Schauspielerin Gwyneth Paltrow), San Diego (Kind von Verena Pooth) – Starkoch Jamie Oliver und seine Frau setzen noch einen drauf: Poppy Honey Rosie, Daisy Boo Pamela, Petal Blossom Rainbow und Buddy Bear Maurice. Die Kinder des Kochs sind wahnsinnig süss, aber stellen wir uns mal vor, wie Poppy sich mit 20 fühlt. Okay, da könnte Klein-Fritz entgegnen, dass dieser harte, männliche Name auch nicht zum fünfjährigen Kindergärtler-Knirps passt. Doch alles kein Problem, die Zivilstandsämter seien nicht mehr so streng, meint Berchtold.

Immer mehr ändern den Namen

Wir wollen von Simone Berchtold wissen, ob man mit dieser Kreativität den Kindern einen Gefallen tut. Kommt drauf an. Man sollte sich fragen: Wie reagiert das Umfeld? Ein ausgefallener Name kann eine Herausforderung sein für den Namensträger. Wie spricht man ihn aus, wie wird er geschrieben? Findet man seinen Namen besonders, freut man sich eher, wenn man darauf angesprochen wird. Ein Name kann auf alle Fälle ein Gesprächseröffner sein.

Eine Nachfrage im Kanton Aargau zeigt, dass immer mehr Menschen unglücklich sind mit der Namenswahl ihrer Eltern. 2016 liessen 104 Aargauer ihren Namen ändern, 2007 waren es nur 31. Sandra Olar vom Departement Volkswirtschaft und Inneres gibt aber auch an, dass die «die Hürde, dass eine Vornamensänderung bewilligt wird, seit 2013 tiefer ist». Auch in Zürich ist die Unzufriedenheit innerhalb von zehn Jahren stark gestiegen. Die Änderung kostet zwischen 250 und 1000 Franken.

Die Namensforscherin Berchtold ist zufrieden mit ihrem Rufnamen Simone. Er sei in den 1970er-Jahren verbreitet gewesen, heute eher passé. Aber man würde sich auch an einen Namen gewöhnen. Sie und ihr Mann sind übrigens auch Modeopfer. Ein Sohn heisst «Luis».

Von Alexandra Fitz

Quelle: Schweiz am Wochenende
veröffentlicht: 15. Juli 2017 06:00
aktualisiert: 15. Juli 2017 06:00