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«Gin Tonic geht immer»: Spirituosen-Experte Arthur Nägele über die Liebe zum Schnaps

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Foto: Pixabay
Schweiz am Wochenende

«Gin Tonic geht immer»: Spirituosen-Experte Arthur Nägele über die Liebe zum Schnaps

«Gin Tonic geht immer», sagt Arthur Nägele. Aber von Berufs wegen muss er alle Spirituosen degustieren.

Arthur Nägele ist Spezialist für Hochprozentiges und bildet zum Schnaps-Sommelier aus. Im Gespräch mit der «Schweiz am Wochenende» spricht er über die Liebe zum Gin, das Leiden der Obstbrenner und den Newcomer Rum.

Herr Nägele, wie sind Sie zum Schnaps gekommen?

Arthur Nägele*: Gute Frage. Eigentlich ist mein Vater schuld. Er war einer der ersten Obstbauern in Vorarlberg, eine Brennerei zu haben, war damals üblich. Mein Papa nahm mich immer mit zum Schnapsbrennen. Wenn die Fässer leer waren, war ich klein genug, um die Fässer von innen mit der Bürste zu putzen.

Wie wurden Sie dann Spirituosen-Expert?

Wie man destilliert, habe ich von meinem Vater gelernt. Ich habe eine Ausbildung in der Gastronomie gemacht und in Hotels gearbeitet. Mein Vater ist gestorben, als ich 13 Jahre alt war. Die Fässer waren voller Maische. Meine Mutter fragte, was wir tun sollten. Ich meinte: «Brennen natürlich. Ich habe ja zugeschaut, wie es geht.» Damals habe ich meine Liebe dafür entdeckt und mich an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Sensorik weitergebildet.

Nun bieten Sie als Erster und Einziger in der Schweiz einen Lehrgang zum Spirituosen-Sommelier an. Was macht der?

Er kennt sich sehr gut aus mit Spirituosen, mit Herkunft, Produktion und Charakteristik. Es geht auch um die Genuss-Kombination. Er weiss, wie man den Schnaps zum Essen kombiniert.

Brauchen wir das?

Spirituosen sind immer mehr Thema. Kennt sich ein Gast mit Schnaps aus, ist der Barkeeper ein armer Mensch. In diesem Bereich hat die Gastronomie viel aufzuholen.

Aber für alles einen Sommelier?

Man kann sich auch fragen, braucht es einen Käse-Sommelier, einen Fleisch-Sommelier? Der Begriff Sommelier bedeutet: Einer, der sich mit Produkten auskennt und diese wohlwissentlich zu kombinieren weiss.

Was halten eigentlich Wein-Sommeliers von Ihnen?

Die schauen uns schon schräg an. Einer sagte mal: «Ihr seid ja gar keine richtigen Sommeliers.» Meine Antwort: «Das mag sein. Aber wenn ihr euch bei Spirituosen kenntlich zeigen würdet, müsste es uns nicht geben.» Sie haben oft dieses elitäre Denken. Was grundsätzlich okay ist, aber dann müssten sie sich auch bei Spirituosen auskennen.

Zurück zur richtigen Kombination. Sie empfehlen dem Gast also zum Schnitzel den passenden Schnaps?

Bei Spirituosen geht es um Aromen-Gleichheit. Also Schnitzel und Schnaps passen nicht gerade.

Dann nennen Sie ein Beispiel?

Man kann ganze Menüs zu Whisky oder Rum zusammenstellen. Etwa ein schottischer Rauchlachs mit einem salzigen, leicht würzig-rauchigen Whisky wie Talisker. Blauschimmelkäse dazu den rauchigen, torfigen Whisky Laphroaig. Oder Crevettenspiess an Zitronengras mit Jasminreis, dazu ein schöner Rum.

Dann ist man ja nach einer Stunde sturzbetrunken?

Man trinkt ja nicht so viel wie beim Wein. Es geht um den Genuss.

Der Spirituosen-Konsum ist seit Jahren rückläufig. Drinks haben weniger Alkohol. Ist jetzt wirklich die Zeit für Edelbrände?

Wir wollen, dass sich Leute besser mit Spirituosen auskennen. Es gibt eine gute Gleichung: Je besser man sich mit Hochprozentigem auskennt, desto weniger besteht Gefahr, dass man im Alkohol versumpft. Es geht um Qualität.

Warum hält der Gin-Boom immer noch an? Mittlerweile braut doch jeder Zweite selber Gin.

Gin muss nur Wacholder-dominiert sein, der Rest ist völlig frei. Deshalb gibt es so viele Möglichkeiten, dieses Produkt zu gestalten. Kräuterlastig, Zitrus-betont oder traditionell. Man kann mit der Garnitur (Pfefferkörner, Zitrone, Gurken) variieren. Ausserdem geht Gin Tonic immer.
Endlich gehen Flaschen auf. Es wird daran gerochen. Erst einmal. Das seien die klassischen Gins aus England. Zurückhaltend, wie etwa der heute eher verpönte Gordon’s Gin.

Und was machen unsere Brenner?

Ausdrucksstarke Produkte. Englische Kollegen sprechen von unserem alpenländischen Stil. Kräftiger, intensiver.
Wir riechen am «The Alpinist Gin». Silberdistel, Frauenmänteli und Arnikablüten sind enthalten. «Auf solche Ideen kommt man nur in der Schweiz», sagt Nägele.

Befürworten Sie kreative Brenner oder sind Sie mehr Traditionalist?

Zwiegespalten. Vielfalt ist gut, aber ich bin der Traditionalist. Ich musste ja auf den Wacholder schwören.

Wie bitte?

Ich bin Mitglied 150 der Gin-Gilde. Das Erste aus Österreich und der Schweiz. Bei der Aufnahme musste ich – in altem Gemäuer mit schwarzem Frack und Wachholderbeeren in der Hand – auf den Gin schwören.

Was kommt nach dem Gin?

Rum. Das sagt man schon länger. Aber jetzt ist das Thema so gross wie nie. Whisky ist kein Trend, er hat sich längst etabliert und festgesetzt. Vor allem die Schweiz ist ein traditionelles Whisky-Land. Whisky-Trinker empfinden sich durchaus elitär. Während Gin eher ein Arbeiter-Klasse-Getränk ist. Unkompliziert ...

Wir sind wieder beim Gin. Geben wir dem Rum eine Chance.

Junge mögen Rum, es ist ein Einsteiger-Getränk. Rum ist eine der schwierigsten Spirituosen zum Herstellen. Er wird aus importierter Zuckerrohrmelasse hergestellt. In der Schweiz gibt es Produzenten, die nun mit Zuckerrübenmelasse tüfteln.

Warum kommen unsere Obstbrände nicht an?

Das hat viel mit Marketing zu tun. Wir werden heute zugedeckt mit internationalen Produkten, die haben das Geld. Obstbrände sind nicht hip. Man trinkt lieber einen Gin Tonic anstatt einen Williams. Gerade die Jungen. Das ist auch verständlich. In deutschsprachigen Ländern haben Obstbrände gerade mal drei Prozent Marktanteil.

Die besten aus der Schweiz:

Der beste Schweizer Gin
Gin ist nach wie vor sehr beliebt. An den Swiss Gin und Rum Awards vergangene Woche wurden 63 Gins aus dem deutschsprachigen Raum eingereicht. CH-Sieger: Morris Dry Gin, von Wild Alps Distillers, www.wildalps.com, Fr. 59.–, «Ein Lichtblick, hat deutlichen Gin-Charakter! Klare Wacholdernoten, Pfeffer und Kräuter, gefolgt von Zitrusfrüchten. Elegantes Zusammenspiel, sehr harmonisch und komplex am Gaumen.»
© HO
Der beste Schweizer Whisky
Whiskys wurden am Gin und Rum Festival natürlich nicht prämiert. Nägele hat uns trotzdem verraten, welche Schweizer Getreide-Destillationen sich hierzulande durchgesetzt haben. Säntis Malt aus dem Appenzell. Gemäss Nägele von eingefleischten Whisky-Trinkern als Whisky akzeptiert. Langatun aus dem Kanton Bern. Rugen aus Interlaken und Käsers Schloss Whisky aus dem Aargau mit eigener Philosophie.
© HO
Der beste Schweizer Rum
Nägele sagt, jetzt ist die Zeit für das Zuckerrohr-Getränk endlich gekommen. The Alpinist Single Cask Series «White Port Cask» 8 Jahre, Fr. 109.–. «In der Nase Trockenfrüchte; Feigen, Aprikosen und kandierte Orange, Dörrpflaume und Rosinen. Kräftige Aromatik, vollmundig, sehr intensiv und interessantes Gaumenspiel. Ausgewogenes Aromen-Alkohol-Spiel mit komplexem und wärmendem Abgang.»
© HO

Gibt es Bestrebungen, dass Obstbrand hip wird?

Ja, aber es ist eine Preissache. Die Obstbrand-Produktion ist sehr teuer. Eine Tonne Kirschen oder Williams-Birnen sind nicht vergleichbar mit Getreide. Es bleibt eine Nische. Obstbrände sind viel schwieriger zu produzieren als Whisky oder Rum.

Das ist also die Königsklasse?

Ja. Die Brenner im deutschsprachigen Gebiet sind die besten der Welt. So sauber wie sie brennen, schafft das keiner.

Obstbrände kann man eben auch nicht mixen.

Das ist ein Vorurteil, das vor allem mit der Einbildung der traditionellen Brenner und Barkeeper zu tun hat. Sie denken, man kann dieses teure Produkt nicht mixen. Aber man kann auch einen Williams problemlos mit Tonic aufgiessen.
Wir degustieren trotzdem Gin und Rum. Den Schweizer Sieger (siehe Bildergalerie oben) mit Tonic. Nägele sagt ja: «Ein Gin Tonic geht immer.» Rum giesst er mit Ginger Beer auf. Nägele sagt ja: «Mixen kann man alles.

Von Alexandra Fitz

Quelle: Schweiz am Wochenende
veröffentlicht: 27. Mai 2017 05:00
aktualisiert: 27. Mai 2017 05:00