«Der Typ hat noch Kneipensuff und Zigarettenrauch in sich»
Konzerte – vor allem die guten – haben etwas Magisches, einen klitzekleinen Hauch von Zauber. Gestresst, mit ordentlich Verspätung und richtig müde hatte ich mich eben noch an hunderten Menschen vorbeigedrängt, mehrere Helfer verwirrt nach Auskunft gefragt und geflucht als die ersten leisen Regentropfen auf den Asphalt vor dem Zürcher Letzigrund gefallen waren. Und nun – nur wenige Minuten danach – scheint alles wie weggeblasen.
Wie im Rausch
Plötzlich vergisst man die Hektik vom Morgen, jeder Mensch ist auf einmal Freund und nett, alle Gedanken an miese Nachrichten aus der Welt, an Federers Rücktritt, den Tod der Queen, an die viel zu teure Stromrechnung, sind mit einem Mal und für die paar wenigen Stunden auf stumm geschaltet. Und das scheinbar nur, weil da vorne jemand mit Akustikgitarre und grandioser Stimme singt.
Na gut, zugegeben. Da steht nicht irgendjemand, sondern der britische Pop-Superstar Ed Sheeran. Millionen verkaufte Alben, Zusammenarbeiten mit den ganz Grossen. Mit Justin Bieber, Andrea Bocelli, Rita Ora. Fans weltweit. Natürlich muss der was liefern, würde man meinen.
Aber Achtung. Je grösser, je bekannter der Star, der da auf der Bühne steht, desto wahrscheinlicher geht dieser Zauber, dieser magische Moment irgendwo zwischen Fan-Artikeln, übertriebener Lichter-Show, Feuerwerk, kreischenden Teenies, VIP-Lounges und Werbe-Bannern verloren. Im Letzigrund war das nicht so. Ed Sheeran, rothaarig, tätowiert, leicht pummelig, hat – so zumindest mein Eindruck, mein Gefühl – das Bodenständige nicht verloren.
Da tönen immer noch Strassenmusik, Pub-Saufereien und Kneipenkonzerte in seiner Stimme, finde ich. Da ist immer noch Haftung, immer noch dreckige Sneakers, Dosenbier und Labern über Fussball, hoffe ich. Mit schwarzem T-Shirt, auf dem in bunten Lettern «Zurich» steht, tobt er auf seiner Mega-Bühne und spielt sie alle. Die Lieder, die teils richtig Bock machen, gleich nach dem Konzert in den nächsten Klub zu gaunern, drei, vier Tequilas runterzuhauen und darauf zu warten, dass es hell wird. Aber auch die Langsamen, die Balladen, die all die Pärchen neben mir dazu bringen, sich behutsam die Hand zu reichen. Ungelogen, in den hinteren Reihen kniete ein Mann sogar nieder und machte seiner Partnerin einen Antrag. Wünsche den beiden viel Glück, by the way.
Kreischende Boomer
Es ist diese Magie, die den Ü50 im weissen Hemd wild mit den Armen fuchteln und Melodien summen lässt, die er eigentlich gar nicht kennt. Dieses Etwas, das die Frau neben mir die Augen schliessen und sie tranceartig im Lied versinken lässt. Dieser Zauber, der Hunderte zum Springen, Schreien, Tanzen bringt. «Everyone is here for the same purpose», sagt Sheeran zwischen den Liedern, dabei das rote Trikot der Schweizer Nati übergestülpt. Alle seien aus demselben Grund hier: Um die Zeit zu geniessen, um sich zurückzuerinnern an gute, helle Tage, um Spass, um Freude zu haben.
Ein schöner Gedanke, finde ich, wohl selbst auch gerade von diesem sonderbaren Schleier aus fantastischer Musik, mehreren Bieren, bunten Lichtern und dem ersten kühlen Herbstabend umgeben. Wir alle seien gerade auf irgendeine Art und Weise durch die Musik miteinander verbunden, erzählt der Sänger einem Guru gleich. Dann schlägt er zum nächsten Gitarrensolo an. Nimmt das Mikro in die Hand. Während der Boden wieder – für uns alle – zu beben beginnt.